Wie sieht ein typischer Wissenschaftler aus? Und was passiert, wenn man als Forscher aus der Rolle fällt? Ich möchte euch ein paar Leute vorstellen, die Rollenklischees dort angehen, wo man sie nicht erwartet: Mitten in der akademischen Welt.
TL;DR
– Auch in der Wissenschaft, einer vermeintlich bildungsstarken Schicht, kommt es zu Ausgrenzungen von Personengruppen, Minderheiten und allen, die anders sind.
– Heidi Gardner räumt mit Vorurteilen auf und stößt Unterhaltungen an, indem sie bunte Anstecknadeln und Postkarten mit Wissenschaftsbezug entwirft.
– Efra Rivera-Serrano wurde wegen seiner Tattoos auf einem Fitnesstudio-Selfie mit einer nutzlosen, kaputten Gabel verglichen, die in der professionellen Wissenschafts nichts zu suchen hat.
Ich bin eine ganz furchtbare Feministin. Glaube ich. Ich mag nicht ordentlich gendern und bezeichne mich lieber als „Wissenschaftler“ anstatt als „Wissenschaftlerin“. Weil ich lieber einfach den „männlichen“ Begriff kapern will, anstatt ein eigenes Wort für mich zu verwenden, das mich in meinen Augen viel mehr von meinen Kollegen mit Y-Chromosom abgrenzt, als jedes Stereotyp es könnte. Wenn ein Mann mir erklären zu versucht, was Programmieren ist, denke ich nicht an „Mansplaining“ sondern zuerst an „Vollpfosten“. Dabei habe ich mich schon oft gefragt, ob es sich bei meiner Einstellung um gesunden Pragmatismus handelt, der viel wirksamer ist als jede ungelenke und manchmal absurd anmutende Debatte um die korrekte Anrede im Briefkopf. Oder ob ich einfach zu blauäugig bin und in Wahrheit ein Teil des Problems. Zumal ich vor einiger Zeit noch behauptet hätte, in der Wissenschaft sei das Problem mit Gleichberechtigung von Frauen, Minderheiten und allem, was anders ist, gar nicht mal so groß. Das sehe ich heute ein bisschen anders.
Klar, schlimmer geht immer
Das Problem ist in der Wissenschaft bestimmt subtiler als in der Dorfkneipe beim Stammtisch. Es ist nicht so, als würden mir die Postdocs mit Bierflaschen in der Hand hinterherpfeifen, wenn ich den Flur heruntergehe. Im Gegenteil – respektvoll gerufen werde ich höchstens dann, wenn ich erste Hilfe bei der Achse eines Plots leisten darf, die sich gegen alle Codingtricks eines Kollegen wehrt. Aber wenn man sich umsieht, merkt man trotz des internationalen Parketts, dass die meisten Wissenschaftler am Institut weiß sind – und komischerweise sind auch viele (die Mehrheit?) meiner Kollegen männlich, obwohl es in der Psychologie im Studium noch deutlich mehr Frauen gibt. Wo sind die alle hin?
Auf einem Workshop erzählte eine Wissenschaftlerin uns Teilnehmern: „Ich war immer der Meinung, dass ich absolut kein Problem habe als Frau in der deutschen Forschung. Alles super. Bis ich in die USA gegangen bin.“ Ausgerechnet in den USA, die ja nicht unbedingt für Gleichberechtigung bekannt sind, wurde ihr bewusst, wie sehr sie in Deutschland unbemerkt ausgebremst worden war.
Ansteckpins gegen Stereotype
Das heißt nicht, dass es innerhalb und außerhalb der Wissenschaft nicht auch zu direkteren Konfrontationen kommt. Die bunte, kreative Frau kann doch keine kompetente Statistikerin sein – oder? Heidi Gardner war es nach der Bemerkung: „Huch! Du siehst ja gar nicht aus wie eine Wissenschaftlerin!“ satt, ständig von Stereotypen umgeben zu sein. Sie nutzte ihren Hintergrund in Grafikdesign und entwarf unter der Überschrift Science On A Postcard Anstecknadeln und Postkarten, um Wissenschaftskommunikation zu fördern. Die bunten Buttons sind großartige Eisbrecher für Unterhaltungen – Leute werden neugierig, wenn sie jemanden sehen, der sich auf unkonventionelle Weise als Wissenschaftler zu erkennen gibt. Gleichzeitig legt Heidi mit den Sprüchen auf Postkarten und Buttons oft auch den Finger in die Wunde und verarbeitet Erlebnisse, die sie und Kollegen im Labor aufgrund ihres Äußeren hatten – zum Beispiel, wenn ein Kollege der Meinung ist, eine Frau trage zu viel Makeup, um in ein Labor zu „passen“.
Wie eine kaputte Gabel?
Bei der nächsten Geschichte hätte ich vielleicht an Satire geglaubt, wäre ich nicht „live“ auf Twitter dabei gewesen. Zu diesem Zeitpunkt folgte ich Efra Rivera-Serrano schon eine Weile auf Twitter, weil er zauberhafte Bilder von leuchtend gefärbten Zellen postet und spannende Dinge darüber erzählt. Und weil er obendrauf noch ein paar echt coole Tattoos, viele davon mit Bezug zu Biologie/Wissenschaft. Wem das noch nicht reicht: Er postet auch regelmäßig sehr süße Hundebilder. Welchen Grund könnte jemand haben, Esra auf Twitter anzugehen? Jerzy Langer, seines Zeichens immerhin Professor, beschwerte sich in diesem Tweet jedenfalls über Esras Äußeres, das gegen die Laboretikette verstoße. Er ging so weit, Esra mit einer verbogenen Gabel zu vergleichen: „Nur, weil du besonders bist, heißt das nicht, dass du brauchbar bist.“ Glaubt mir, ich forsche am menschlichen Gehirn und es ist mir ein absolutes Rätsel, was einen Menschen dazu bringt, so drauf zu sein.
Allgemein war der Support für Ersa (und der Shitstorn gegen Langer) zum Glück überwältigend, aber inspiriert von der Geschichte gründete Esra Unique Scientist, eine Organisation, mit der er dazu einlädt, Vielfalt in der Wissenschaft zu repräsentieren und gehörig mit dem Klischee des typischen Wissenschaftlers aufzuräumen.
Respekt und Offenheit tun natürlich nicht nur der Wissenschaft gut. Aber es kann viel ausmachen, sich den überraschten Gesichtsausdruck zu verkneifen, wenn der tättowierte Punk auf dem Festival erzählt, er sei Raketenwissenschaftler. Natürlich sind schrille oder außergewöhnliche Forscher nicht besser als derjenige, der das herkömmliche Stereotyp erfüllt. Diversität zu feiern darf nicht umgekehrt dazu führen, die vermeintlichen „Normalos“ herabzuwürdigen. Was ich jedenfalls eigentlich zu sagen versuche ist: Bestellt euch ’nen coolen Ansteckpin, ja?
Links und Quellen in erwähnter Reihenfolge, Stand 09.08.2019
[1] Gesundheitsberichterstattung des Bundes – Studenten im Studienfach Psychologie Liniendiagramm
[2] Heidi R. Gardner – women in science
[3] Twitter – Science On A Postcard
[4] Twitter – Efra Rivera-Serrano, Ph.D.
[5] Unique Scientist – Famous Fork Tweet
[6] Unique Scientist
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