Ich habe gute Kollegen, die schöne Artikel in meinem Newsfeed teilen. So bin ich auf diesen sehr schönen Artikel von Sanjay Srivastava auf The Hardest Science aufmerksam geworden. In Learning exactly the wrong lesson verfasst er seine Gedanken zum Thema Replikationskrise. Wie das immer so ist im Reich der Wissenschaftsblogs, ist das gute Zeug auf Englisch. Ich habe daher einige von Sanjays Gedanken aufgegriffen – und um meinen eigenen Eindruck erweitert.
In der Wissenschaft geht es um Überprüfbarkeit. Ein Kern der Sache sind Replikationen, also Studien, die genau so wiederholt werden, wie sie ursprünglich durchgeführt wurden. Warum macht man Dinge mehrmals? Um sicher zu gehen. Wenn ein anderes Labor die Ergebnisse replizieren, also erneut in ähnlicher Form herstellen kann, dann ist alles in Ordnung. Wenn aber andere (oder gar dieselben) Wissenschaftler mit denselben Methoden zu anderen Ergebnissen kommen – dann ist das beunruhigend. Es bedeutet entweder, dass der ursprüngliche Befund zufällig oder durch Fehler/Ungenauigkeiten entstanden ist. Oder es bedeutet, dass der Effekt zwar besteht, aber durch etwas ganz anderes verursacht wurde, als angenommen. Irgendwas hat der Ursprungslabor anders gemacht, was all die anderen übersehen. Im besten Fall findet man dann einen neuen, interessanten Mechanismus. Im schlechtesten Fall stellt sich heraus, dass der Effekt einfach bloß furchtbar empfindlich ist und sich nur unter ganz ganz bestimmten Laborbedingungen einstellt – nicht immer praktikabel für eine weiterführende Anwendung.
Als wäre das alles nicht schon knifflig genug, muss man sich damit dann auch noch der Außenwelt stellen. Wie vermittelt man insbesondere den wissenschaftsskeptischen Menschen da draußen, dass irgendetwas nicht so gelaufen ist, wie geplant? Wie kann ich publik machen: „Hm, wir haben ein Problem, und es ist weitreichender, als angenommen – aber das heißt nicht, dass Wissenschaft an sich wertlos ist!
Denn was, wenn auf einmal niemand meine Forschung mehr ernst nimmt? Was, wenn ich zwar wirklich und gut belegen kann, dass Homöopathie nicht mehr bringt als ein Placebo – aber mir niemand mehr glaubt, weil die Kollegen mit dem tDCS Probleme haben, ihre eigenen Befunde zu belegen?
In einer idealen Welt sagen wir: „Sorry. In diesem Fall haben wir uns geirrt. Entschuldigung, wir haben uns etwas zu früh gefreut. Aber in diesen Punkten haben wir gute Nachrichten: Die Replikationsversuche waren erfolgreich und geben uns nun mehr Gewissheit!“ Aber es ist unwahrscheinlich, dass das so funktionieren wird.
Schon jetzt ärgere ich mich über Medienberichte, die es so hinstellen, als sei die Wissenschaft ein Fähnchen im Wind, das von heute auf morgen seine Empfehlungen ändert. So ist es nicht; und wir sind immer noch mit besseren Instrumenten als ein Laie ausgestattet, um zu beurteilen, ob etwas wirksam ist oder nicht. Ob etwas zufällig ist oder nicht. Dennoch ist ein Kernpunkt von Wissenschaft, eine Verpflichtung sogar, ihren Standpunkt angesichts neuer Evidenz zu ändern. Das kommt vor – täte es das nicht, machen wir vermutlich einen Fehler. Es muss uns gestattet sein, unser Weltbild da anzupassen, wo es nötig ist. Um dabei glaubwürdig zu bleiben, müssen wir vielleicht auch konservativer werden, was den Bericht von Ergebnissen anbelangt. Lieber noch einmal vorher gegenchecken. Das gilt für Wissenschaftler selbst, aber genau so für Journalisten, die einzelne Studien überinterpretieren und versprechen, was die Forschung dahinter gar nicht halten kann.
In ihrer Panik glauben einige Wissenschaftler anscheinend, sie könnten eine Eskalation vermeiden, indem sie den Prozess der immer transparenteren Wissenschaft bremsen. Sie wollen die Replikationskrise unter Verschluss halten und sozusagen kontrollierter nach außen dringen lassen. Erstens wäre das natürlich eine furchtbare Herangehensweise, die allen wissenschaftlichen Grundsätzen widerspricht. Zweitens verlieren wir dann – und zwar dieses Mal zu Recht – erst recht jegliche Glaubwürdigkeit, wenn dieser Vertuschungsskandal ans Licht käme. Glaubwürdig kann nur der sein, der auch ehrlich ist, so weh das tut. Gerade jetzt wäre eine tolle Gelegenheit um zu zeigen: „Schaut. Wir behaupten nicht nur, dass wir offen für Kritik sind. Wir gehen das Problem aktiv an und verbergen unsere Fehler nicht.“
Das geht natürlich nur, wenn wir Menschen darüber informieren, was wir eigentlich tun. Und wie wir das tun. Und wie es dabei zu so etwas wieder Replikationskrise kommen kann. Und warum das nicht bedeutet, dass jede wissenschaftliche Erkenntnis deswegen wertlos ist. All das haben wir in den letzten Jahren versäumt; es ist dem Laien kaum zu verdenken, wenn er uns für bodenlose Blender hält, wenn er von der Replikationskrise hört, ohne etwas über Methoden, Statistik und den Publikations-Prozess zu wissen.
Mir selbst ist es auch egal, was Leute glauben und was nicht. An Fakten muss man nicht glauben, sie sind einfach da. Dabei darf ich aber nicht übersehen, dass ich kein Fakt bin – mir kann man glauben. Oder auch nicht. Und für die Öffentlichkeit spielt eben nicht nur ganz puristisch die Aussagekraft meiner Daten eine Rolle. Sondern auch meine ganz persönliche Glaubwürdigkeit. Genau deswegen darf ich diese nicht verspielen.
Quellen und erwähnte Links in Reihenfolge des Erscheinens, Stand 03.04.2018, 22:33
[1] The Hardest Science
[2] The Hardest Science – Learning exactly the wrong lesson – 06.04.2017