Natürlich habe ich Spaß an Wissenschaftlern, die Quark bei predatory journals einreichen, um zu zeigen, dass man da jeden Rotz veröffentlicht bekommt. Mein Herz schlägt aber für die gesetzteren Rebellen, die sich minutiös mit der Datenlage anstatt mit anekdotischer Evidenz befassen. Denn auf dieser Grundlage muss die Debatte schlussendlich geführt werden. Eine Leseempfehlung.

Predatory journals – the road so far

Wenn man auf ein Problem aufmerksam machen will, muss es schon mal ein bisschen poltern. Und das tut es gehörig, wenn man ein Paper einreicht, das kompletto, Flowcharts und Text und alles, aus den Worten „Get me off your fucking mailing list“ besteht. Das Meisterwerk gibt’s hier zum „Nachlesen“. 2005 als Witz von Maziéres und Kohler verfasst, wurde es 2014 recycled, um auf eine Spam-Mail eines predatory journals zu antworten – und wurde von diesem akzeptiert. Denn die wissenschaftliche Community kennt predatory journals vor allem so: Aus ihrem Spamordner.
Kürzlich durch die Medien ging Gary Lewis, der es schaffte, über ein predatory journal ein Paper zu veröffentlichen, das davon handelte, dass sich rechte Politiker den Hintern mit der linken Hand abwischen – und umgekehrt.

Klingt lächerlich? Ist es auch größtenteils aus Sicht der Wissenschaftscommunity. Oder war es.
Denn mit dem Beitrag „Fake Science“, der am 23.07.2018 im Ersten ausgestrahlt wurde, schien das Problem größere Ausmaße zu bekommen. Hatten die Wissenschaftler den Verfall ihrer eigenen Profession nicht bemerkt? Wollten sie ihn vertuschen? Die unter anderem auf den Recherchen des NRD beruhende Dokumentation schickte Journalisten ins Rennen, um ebenfalls ausgemachten Schwachfug in einem predatory journal bzw. auf einer predatory conference unterzubringen. Es klappte.
Immer wieder wurde in der Doku betont, dass die Wissenschaft in der Verantwortung sei. Dass die Gefahr nun darin läge, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Am Ende wurde Unsicherheit gesät, wem man überhaupt noch glauben könne. Schließlich kriegt man ja scheinbar alles veröffentlicht und kann auch noch „Wissenschaft“ drauf schreiben, obwohl gar keine drin ist.

Kopfschütteln am nächsten Morgen im Labor, in dem ich arbeite. Niemand von uns kennt einen Kollegen, der schon mal in einem predatory journal veröffentlicht hat. Wäre auch merkwürdig. Denn wer eine Karriere in der Wissenschaft durchläuft, steht zwar unter Publikationsdruck. Aber dem kann er nicht dadurch entgehen, dass er einfach sehr viel Müll produziert. Eingestellt wird nicht, wer die längere Publikationsliste hat, sondern wer die bessere (und in zweiter Instanz auch längere) Publikationsliste in qualitativ hochwertigeren Journalen hat.
Krasser noch, wer eine Bewerbung mit zahlreichen Veröffentlichungen in predatory journals einreicht, dessen Mappe wird lachend vom Tisch gefegt. Und danach wird der Spam-Ordner im Postfach von den täglichen Anfragen für predatory conferences geleert, die sich sammeln wie Angebote für Penisvergrößerungen und heiratswillige russische Damen in herkömmlichen Mail-Fächern.

Relativ einfach

Wenn die Debatte aber schon so hochkocht und behauptet wird, die Wissenschaft sei massiv in ihrer Glaubwürdigkeit bedroht, dann lohnt es sich, genauer hinzusehen. So viel Spaß es dabei auch macht, die predatory journals an der Nase herumzuführen, indem man Müll einreicht, ist nun detaillierte Datenanalyse gefragt. Wie viele Wissenschaftler sind tatsächlich betroffen? Und wer sind sie? Zu welchen Instituten und Fachrichtungen gehören sie, wenn überhaupt? Wer veröffentlicht wie häufig in predatory journals? Wie sieht das Verhältnis zur Gesamtzahl der Veröffentlichung und der veröffentlichenden Wissenschaftler aus?

All diese Fragen beantwortet Markus Pössel im Blog Relativ einfach. Dabei macht er es sich gar nicht so einfach (ba dum tss) und durchforstet 17.500 Artikel vor allem auch nach deutscher Beteiligung.

Eine erste Einordnung des Problems anhand einer kleinen „händischen“ Stichprobe findet sich im Einstiegsartikel. Ans Eingemachte geht es im zweiten Post, der den besagten Datensatz aus 17.500 Artikeln auf Herz und Nieren prüft. Im dritten Post schaut sich Markus dann genauer an, wer die Wissenschaftler sind, die sogar mehrmals in predatory journals veröffentlicht haben. Die große Mehrheit hat nämlich nur ein einziges Mal einen Artikel in einem solchen Journal platziert.

Was genau raus kommt, müsst ihr bei Markus selbst nachlesen. Da gibt’s nämlich alle Details, alle schicken Grafiken und sogar seine gesamte Vorgehensweise inklusive Skript. Hut ab dafür!
Als Zusammenfassung an dieser Stelle allerdings ein Zitat aus dem Artikel zur Datenauswertung 1:

„Insgesamt handelt es sich sowohl nach Zahl der Beteiligten als auch nach Zahl der Artikel offenbar um ein Randphänomen im niedrigen einstelligen Prozentbereich.“

Es sind nur wenige Wissenschaftler, die in den predatory journals veröffentlichen. Und nur die allerwenigsten mehrmals. Es sind vor allem die Randdisziplinen und der „klassische Wissenschaftler“, der z.B. an einem universitären Institut forscht, lässt sich zumindest unter den Vielveröffentlichern so gut wie gar nicht finden.
Das wirft natürlich die Frage auf: Was soll „die Wissenschaft“ denn tun, wenn sie mehrheitlich schon gar nicht in predatory journals veröffentlicht?


Quellen und erwähnte Links in Reihenfolge des Erscheinens, Stand 25.07.2018

[1] Maziéres, D. & Kohler, E. (2005). Get Me Off Your Fucking Mailing List.
[2] Ein Glas Rotwein – Akademischer Spam
[3] Gary Lewis auf Twitter – „I submitted a hoax manuscript to a predatory journal“
[4] ARD Mediathek – Exklusiv im Ersten: Fake Science – Die Lügenmacher | Reportage & Dokumentatio Video – 23.07.2018 – verfügbar bis 23.07.2019
[5] Blog Relativ einfach
[6] Relativ einfach – Abzock-Zeitschriften: Wie groß ist das Problem? – Markus Pössel – 21.07.2018
[7] Relativ einfach – Abzock-Zeitschriften, Datenauswertung Teil 1: Methoden, Ländervergleich, Gesamtzahl – Markus Pössel – 22.07.2018
[8] Relativ einfach – Abzock-Zeitschriften, Datenauswertung Teil 2: Die Vielveröffentlicher – Markus Pössel – 25.07.2018