Kritisches Denken wird beworben wie nie zuvor. Zwar gibt es deutliche Unterschiede in der Auffassung darüber, wie das konkret auszusehen hat (immerhin halten sich auch Flache-Erde-Gläubige für besonders kritische Köpfe), aber die generelle Intention ist ja schon mal lobenswert. Häufig wird die Sorge geäußert, wissenschaftliche Studien könnten gekauft sein – und zwar heimlich, sodass für den Leser einer Veröffentlichung nicht ersichtlich ist, ob dem Ergebnis zu trauen ist oder nicht.
Gekaufte oder gefälschte Resultate existieren natürlich und sind durchaus ernst zu nehmen. Trotzdem ist das Problem in der Wissenschaft weniger groß, als man vielleicht glauben mag. In der weiteren Veröffentlichung der Ergebnisse allerdings schon. Ich erkläre anhand einer Beispielstudie, wieso die Finanzierung der Studie nur zweitrangig ist – und darüber hinaus eigentlich sehr gut erkennbar.
Wo kommt Forschung her?
Es ist ein bisschen wie mit dem Strom, den es aus der Steckdose gibt oder die Milch, die aus dem Tetrapack kommt. Wo es das gewünschte Produkt gibt, wissen wir. Wo es ursprünglich herkommt, weiß eine kleine, aber immer noch eine erschreckend Anzahl an Menschen nicht. In Sachen Wissenschaft ist es durchaus verständlich, dass man als „Outsider“ nicht unbedingt weiß, wie die verbreiteten Informationen zu Stande kommen. Otto Normalverbraucher hält am Ende nur das „Tetrapack“ in der Hand, nämlich den Zeitungsartikel, in dem beschrieben wird: „Skandinavische Forscher haben herausgefunden …“
Ich fange mal, fix zusammengerafft, beim Milchbauern an: Gängigerweise nimmt ein Paper, also der formale Bericht zu einer Studie, in einem Labor bzw. einer Arbeitsgruppe seinen Ursprung. Diese sind sehr häufig an eine Universität angeschlossen und setzen sich aus Mitarbeitern diverser Hierarchien zusammen. Neben dem Leiter der Arbeitsgruppe gibt es Postdocs (wie das Wort schon sagt Leute mit abgeschlossenem Doktor), Doktoranden (bzw. PhDs) und einen Stab aus wissenschaftlichen Mitarbeitern und Hilfskräften, die auch Studenten beinhalten. Hinzu kommen ggf. Techniker und spezialisierte Kräfte wie ITler und Informatiker, Tierpfleger oder andere ergänzende Menschen aus benachbarten Disziplinen. Während die niedrigeren Positionen mit der „Drecksarbeit“ beschäftigt sind, also Dingen wie der stumpfen Erhebung oder Eingabe von Daten, sind es vor allem die Mitarbeiter ab Doktorand und aufwärts, die mit dem verfassen von Forschungsberichten beschäftigt sind. Sie planen die Vorgehensweise von Experimenten, reichen Anträge für die Durchführung und Finanzierung ihrer Forschung ein, analysieren letztendlich die Daten und berichten die Ergebnisse dann in einem Paper. Das ist ein Prozess, der mindestens Monate, eher Jahre in Anspruch nimmt. Allein der Papierkram im Vorfeld ist nicht zu verachten und der Einreichungsprozess eines Papers zieht sich wie Kaugummi.
Zunächst einmal besteht ein Paper aus einer Einleitung, in der das Drumherum der aktuellen Arbeit beschrieben wird. Was sagen andere Befunde zu dem Thema? Was begründet die Notwendigkeit der durchgeführten Experimente? Welche Fragen sollen beantwortet werden? Wieso werden sie auf diese Weise mit diesen Methoden untersucht?
Es folgt eine genaue Beschreibung der Vorgehensweise, der verwendeten Materialien und Methoden und Details wie die Beschreibung der Probanden (Anzahl, Alter, wie diese rekrutiert wurden …) und alle möglichen Rahmenbedingungen. Dann werden die eigentlichen Daten berichtet, inklusive aller verwendeten statistischen Tests und den relevanten Angaben zu diesen. Auch hier wird begründet, warum diese oder jene Analyse gewählt wurde und ob und in welcher Weise beispielsweise Korrekturen durchgeführt wurden. Zum Schluss werden die Ergebnisse noch einmal in der Diskussion zusammengefasst und beleuchtet. Welche Einschränkungen waren durch die verwendeten Methoden vorhanden und wie haben sich diese womöglich auf die Ergebnisse ausgewirkt? Wie sind die Erkenntnisse im Bezug auf die weitere Forschung in diesem Feld einzuordnen? Ist eine Interpretation überhaupt möglich und wenn ja, inwiefern? Welche Folgeuntersuchungen sind notwendig oder haben sich neue Fragen ergeben?
All das wird dann in einer Fachzeitschrift eingereicht. Hier ist die richtige aus vielen zu wählen: Erstens muss das Journal natürlich zum Forschungsfeld passen. Eine Studie zu Darmprozessen wird keine Chance haben, in einem Magazin über Zahnmedizin zu landen. Außerdem gibt es unterschiedlich hochkarätige Journals – eine gut gemachte Studie mit bahnbrechenden Erkenntnissen ist ein vielversprechender Kandidat für eine Veröffentlichung in „Nature“ oder „Science“ – für kleinere, vielleicht weniger einschlagende Ergebnisse sind auch etwas bescheidenere Magazine angebracht. Nur, weil Forschung nicht nobelpreiswürdig ist, heißt das nicht, dass sie nicht für ihren Bereich durchaus interessant ist.
Ich habe heute leider kein Paper für dich
Nun wird ein Journal eine eingereichte Studie eigentlich niemals sofort veröffentlichen. Die allermeisten Magazine verwenden das Verfahren der peer reviews – und wenn dieser Vorgang nicht stattfindet oder zumindest durch ähnliche Mechanismen ersetzt wurde, ist dem jeweiligen Journal auch mit Vorsicht zu begegnen.
Neutral formuliert wird der Entwurf an Wissenschaftler desselben Fachbereichs gesendet, die ihn auf Schwachstellen untersuchen und ihre Kritik rückmelden. Etwas realistischer gesagt ist Forschung nicht immer etwas für zart Besaitete. Zwar habe ich aus meiner persönlichen Erfahrung immer einen sehr respektvollen bis freundschaftlichen Umgang unter Kollegen erlebt. Aber in einem Feld, das von der regelmäßigen Hinterfragung und Kritik von Kollegen lebt, fällt es manchmal schwer, negatives Feedback nicht allzu persönlich zu nehmen. Es gibt auch Vorträge, in denen Referenten in der anschließenden „Fragerunde“ weinend den Raum verlassen – aber keine Sorge, nicht alle von uns sind empathielose Schweine. Nichtsdestotrotz wird ein eingereichtes Paper erst mal an den Absender zurückgehen. Dieser muss dann zunächst nachkorrigieren – mit Glück sind das kleinere Verbesserungen wie weitere statistische Tests oder zusätzlich berichtete Informationen. Es kann aber auch sein, dass weitere Experimente nötig sind, um ein vollständigeres Bild darzulegen und Lücken zu schließen. Dann vergehen natürlich weitere Monate, bis das Paper komplett ist und erneut eingereicht werden kann.
Ist das jedoch geschafft, dann ist die Arbeit öffentlich – halbwegs zumindest. Durch den Zugang über die Universität kann ich die allermeisten Papers relativ uneingeschränkt lesen und downloaden. Die Uni bezahlt für diesen Zugriff – als Laie müsste ich selbst als Einzelperson blechen. Um die 30 Dollar pro Paper sind durchaus üblich. Das ist natürlich ein Preis, der für interessiertes Publikum aus dem Nicht-Fachbereich absolut unsinnig ist. Als Laie bin ich auf Journalisten angewiesen, die die Originalliteratur lesen, zusammenfassen und bündeln. Was dabei verloren geht oder hinzugefügt wird, kann ich nicht kontrollieren.
Mir geht es aber um die Perspektive von Fachidioten – Wissenschaftler zum Beispiel – und die Informationen, die ihnen in den Originalveröffentlichungen zur Verfügung stehen. Und eigentlich sollten auch die Journalisten, die die Forschungsergebnisse weiterverbreiten entsprechend ausgebildet sein.
Hidden in plain sight
Die feste Struktur eines Papers bringt einige Konsequenzen mit sich. Gewisse Angaben müssen gemacht werden – auch über Finanzierung und Interessenkonflikte. Sehen wir uns diese gerade erschienene Arbeit über die Effekte auf Gedächtnis und Neurodegeneration durch Curcumin an. Diese Website preist Kurkuma, ein indisches Gewürz, als Superfood und Lösung für alles an. Schmerzen, Abnehmen und Kosmetik bis hin zu ernsten Erkrankungen wie Krebs. Das soll übrigens keine Empfehlung sein. Ohne einen gesonderten Post dazu zu verfassen: Detox ist sowieso Quark, weil euer Körper das ganz gut selbst hinbekommt. Und nein, es gibt kein Lebensmittel, das im Alleingang jede Krankheit heilen kann. Jedes Mal, wenn in einem Instagramfeed irgendwo „Superfood“ auftaucht, fällt ein Gojibeeren-Mogul lachend vom Stuhl und eine Paprika springt des Lebens müde von der Küchenanrichte, weil sie sich in ihrem Beitrag zu einer gesunden Ernährung und Vitaminversorgung nicht gewertschätzt fühlt. Weil wir positive Effekte aber nicht allein deswegen ausschließen wollen, bloß weil ein paar Aluhutträger und Marketing-Genies ein wenig übers Ziel hinausschießen, ist es ja eine gute Sache, wissenschaftlich zu untersuchen, ob Curcumin womöglich positive Effekte auf einzelne Bereiche hat.
Ganz offen deklariert finden wir am Ende des Papers:
The University of California, Los Angeles, owns a U.S. patent (6,274,119) entitled “Methods for Labeling ß-Amyloid Plaques and Neurofibrillary Tangles”, which has been licensed to TauMark, LLC. Drs. Small, Satyamurthy, Huang, and Barrio are among the inventors and have financial interest in TauMark, LLC. Dr. Small also reports having served as an advisor to and/or having received lecture fees from Allergan, Argentum, Axovant, Cogniciti, Forum Pharmaceuticals, Herbalife, Janssen, Lundbeck, Lilly, Novartis, Otsuka, and Pfizer. Dr. Heber reports receiving consulting fees from Herbalife, and the McCormick Science Institute. The manufacturer of Theracurmin, Theravalues Corporation, provided the Theracurmin and placebo for the trial, funds for laboratory testing of blood curcumin levels, and funds for Dr. Small’s travel to the 2017 Alzheimer’s Association International Conference for presentation of the findings.
Kurz gesagt: Ein Haufen Leute hat Geld auf verschiedene Arten beigesteuert. Einige der Forscher haben finanzielles Interesse an TauMark. Denen gehören die Rechte an der Prodezur des Hirnscans, die in dem Paper verwendet wurde. So etwas steht dem wissenschaftlichen Fortschritt ziemlich im Weg. Das Resultat ist nämlich, dass die einzigen Papers, die die Verwendung dieser Methode validieren, von denselben Forschern kommen. Aussagekräftig ist eine Methode aber erst dann, wenn verschiedene Forscher in verschiedenen Laboren sie anwenden können und unter denselben Bedingungen zu denselben Ergebnissen kommen. Eine ausführlichere Kritik zu der Methode selbst ist auf The Neurocritic zu finden. Übrigens ist die verwendete Technik an sich, der PET-Hirnscan, eine etablierte Methode in der Hirnforschung. Es können jedoch verschiedene Substanzen verwendet werden, um Marker im Gehirn zu setzen. Um eben jenen verwendeten Marker (FDDNP) und seine Aussagekraft für die Fragestellung rund um neurodegenerative Erkrankungen geht es in der Kritik.
Einige der Forscher zählen hier eine beeindruckende Liste an Firmen auf, für die sie als Berater tätig sind und von denen sie Vortrags- oder Beratungs-Honorare kassiert haben. Nicht zuletzt hat der Hersteller des verwendeten Nahrungsergänzungsmittels sein Präparat sowie das Placebo zur Verfügung gestellt und auch Mittel für die Bluttests im Labor aufgebracht – und die Präsentation der Daten auf einer Konferenz, natürlich.
Man mag das kritisieren, aber der Punkt ist: Da steht’s. Ganz offensichtlich. Es ist angegeben, welche Interessenkonflikte durch wen und in welcher Weise vorhanden waren. Bei jedem Leser gehen hier die Alarmglocken an und das Paper wird mit viel mehr Misstrauen begutachtet. Es gibt hier keine geheime Verschwörung – alles Gemauschel findet öffentlich und bei Tageslicht statt und kann bei der Begutachtung der Daten berücksichtigt werden.
Methoden? Frewillige vor!
Nun ist es ja relativ verständlich, dass eine Firma ihr Produkt testen möchte und dies in Auftrag gibt – und die Forschung dann auch bezahlt. Das sagt noch nicht unbedingt aus, dass auch methodisch Mist gebaut wurde (die fragliche PET-Methode haben wir ja bereits identifiziert). Der Titel des Papers dazu kündigt eine doppelblinde, placebokontrollierte Untersuchung an, was erst mal die korrekte Art ist, an die Sache ranzugehen.
Sehen wir uns die Probanden an: 259 freiwillige Teilnehmer gab es – 66 blieben nach einigen Ausschlusskriterien noch stehen. Solche Kriterien müssen ebenfalls veröffentlicht werden. Hier werden unter anderem Probanden ausgeschlossen, die in kognitiven Tests Anzeichen auf Demenz zeigen, da gesunde Probanden mit einer für ihr Alter normalen kognitiven Entwicklung untersucht werden sollen. Merkwürdig ist, dass uns an dieser Stele noch mal 20 weitere Probanden verloren gehen. Wegen Verlust von Interesse, Krankheit oder Medikamenteneinnahme – wobei die Sache mit den Medikamenten eigentlich zuvor schon abgefragt wurde. Schlanke 46 Probanden sind für eine Studie mit Hirnscan durchaus nicht unüblich. Solche Methoden sind teuer und aufwändig und oft finden sich gar nicht so viele Teilnehmer, wie man gerne hätte. Gerade dann, wenn man aufgrund der Fragestellung nicht auf willige Studenten zurückgreifen kann, wird die Rekrutierung knifflig. Allerdings wurden auch kognitive Tests durchgeführt, um die Wirksamkeit von Curcumin zu belegen. Smarter wäre es gewesen, eine größere Probandenzahl für die kognitiven Tests zu sammeln und die Daten dann mit einer geringeren Zahl an Hirnscans zu unterstützen. Man könnte unterstellen, dass die kleine Probandenzahl dankend in Kauf genommen wurde. Zwar ist es mit einer zu kleinen Stichprobe viel schwieriger, existierende Effekte zu entdecken. Aber die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen und zufälliges Rauschen in den Daten als Effekt zu interpretieren, ist ebenfalls größer.
Das Stirnrunzeln verstärkt sich, wenn man die Zahl der Probanden weiter verfolgt. Ganze sechs Stück haben ihr Einverständnis nach der zufälligen Zuteilung zu echtem Kurkuma und Placebo zurückgezogen. Natürlich steht es jedem Probanden frei, jederzeit ohne Angabe von Gründen aus der Studie auszusteigen und das ist auch gut so. Aber nur kurz zuvor waren sie ja mit den Bedingungen der Studie einverstanden gewesen. Warum dann nach der Zuordnung zu einer Gruppe aussteigen? Wenn alles richtig gelaufen ist, wusste keiner der Probanden, in welcher Gruppe er gelandet ist und die Gruppenzuteilung sollte somit eigentlich nicht der Grund gewesen sein. Wenn aber über 10% nach Zuordnung der Gruppe abspringen, dann macht das misstrauisch. Drei weitere Probanden verließen die Studie mittendrin – einer aus der Curcumingruppe, wohl wegen Nebenwirkungen, und zwei aus der Placebo-Gruppe. Einer, weil er das Interesse verloren hatte und einer, weil es ihm nicht möglich war, die Tabletten einzunehmen. Da waren’s nur noch 37. Kleine Größenordnung: In der Gruppe „Wissenschaft und Skeptizismus“ auf Facebook hat ein User mal G*Power angeschmissen, ein Programm das unter anderem dazu verwendet wird, die benötigte Stichprobengröße für ein Experiment zu berechnen. Die Studie verwendet natürlich unterschiedliche Tests, die auch unterschiedliche Anforderungen an die Stichprobengröße stellen, aber unter anderem wird ein t-Test zwischen zwei abhängigen Gruppen gerechnet – bei der angenommenen Effektstärke von d = .6 und dem angegebenen alpha von .05 bräuchten wir 32 Leute. Jeweils in der Placebo- und der Curcumin-Gruppe. Wir haben 20 in der Curcumin-Gruppe und 17 in der Placebo-Gruppe.
Zehn Probanden gehen vor dem Hirnscan verloren. Drei sind mittendrin ausgestiegen, das wissen wir. Bei weiteren dreien gab es technische Probleme mit dem Scanner. Darf eigentlich nicht sein und zieht einem auch wieder die Stirn kraus, aber Laborequipment ist oft haarsträubend störanfällig. Es ist ein bisschen wie mit Druckern: Sämtliche Geräte können deine Angst riechen. Und fallen grundsätzlich dann aus, wenn zwar alle Testläufe völlig in Ordnung waren, nun aber dein wirklich wichtiges, unwiederholbares Experiment ansteht. Ein bisschen merkwürdig ist aber, dass vier weitere Probanden nicht erhoben werden konnten, weil offenbar die Fördermittel fehlten. Ja, Hirnscans sind teuer. Aber mit Programmen wie G*Power kann ich im Voraus meine angestrebte Probandenzahl errechnen und plane in meinem Forschungsantrag auch so. Ich kann und muss relativ genau abschätzen, welche Geldsummen für die Durchführung meiner Studie nötig sind. Ein Schelm wer nun denkt, die Finanzierer dieses Papers hätten Einfluss darauf nehmen wollen, wer oder was durch die Hirnscans geht.
Absichtliche Manipulation kann ich nicht beweisen, aber ein bisschen liest sich das Paper schon wie „10 kleine Jägermeister“.
Kleinvieh macht auch Mist
Weitere angegebene Limitationen der Studie klingen wie eine Ansammlung von Kleinigkeiten, aber in der Summe häufen sie sich zu einem nicht zu verachtenden Haufen Chaos an. Weil es sich um eine Pilotstudie handele, begründen die Forscher, sei auf die Korrektur bei multiplen Tests verzichtet worden. Das ist aber wichtig – gerade wenn die Qualität der Daten aufgrund anderer Einschränkungen schon durchwachsen ist. Es klingt für Außenstehende ein wenig haarsträubend, ist aber ein ganz normales statistisches Phänomen: Wenn ich sehr viele Tests an demselben Datenset durchführe, dann wird allein aufgrund des Zufalls irgendeine Analyse signifikant werden. Als Beispiel werden gerne mehrere Korrelationen genannt: Wenn ich verschiedene Dinge (zum Beispiel Einkommen, Bildungsstand, verzehrte Menge Eiscreme, Schuhgröße, Lieblingszahl, Quersumme der gelaufenen Kilometer am Tag, Entfernung vom Wohnort zum nächsten Kiosk …) miteinander korreliere, dann werde ich früher oder später auf einen Zusammenhang stoßen. Nicht, weil dieser Zusammenhang wirklich existiert, sondern weil der Zufall mir in die Karten spielt. Das kann ich verhindern, indem ich die Schwelle, ab wann ich etwas für signifikant erkläre, bei multiplen Tests anpasse. Dafür gibt es unterschiedlich konservative Methoden, aber ich sollte das Problem jedenfalls nicht einfach ignorieren. Das wurde hier aber getan.
Trotz zufälliger Gruppenzuweisung unterschieden sich die Gruppen auch in ihrem Bildungsniveau. Zwar wurde für diese Tatsache in den Analysen kontrolliert, aber es ist nicht völlig unheikel. Es ist durchaus vorstellbar, dass Bildung in der Frage nach unter anderem Gedächtnis eine Auswirkung hat.
Je mehr Kleinigkeiten und Unsauberkeiten zusammen kommen, desto weniger verlässlich werden die Daten. Die habe ich bisher außen vor gelassen. Neben den dubiosen Hirnscans findet das Paper nämlich beeindruckende Verbesserungen in Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Stimmung. Grundsätzlich nur für die Curcumin-Gruppe und nicht für das Placebo. Und das auch noch mit beachtlich großen Effektstärken. Ein Gewürz soll das alles leisten können?
Nicht völlig auszuschließen und man könnte das vorliegende Paper zumindest als grundsätzliche Inspiration für eine Forschungsrichtung betrachten. Zumindest die kognitiven Tests zu replizieren ist gar nicht mal so aufwändig. Vielleicht kann ich ja auch einen Schwung Nahrungsergänzungsmittel plus Placebo gesponsert bekommen, um die entsprechenden Tests durchzuführen. Ich hätte da eh noch ’ne Masterarbeit zu schreiben. Und ich lasse mich sowieso gerne von den Vorzügen der indischen Küche überzeugen – schmecken tut der Kurkuma immerhin. Das habe ich nicht doppelblind getestet, aber in einer Menge nicht-wissenschaftlicher Selbstversuche überprüft.
Ehrliche Scharlatane
Was will ich damit sagen? Die Angst, dass Forschung heimlich finanziert ist, mag nicht völlig unbegründet sein. Aber im Gegensatz zu herkömmlichen Scharlatanen sind Wissenschaftler zumindest in der Regel sehr ehrliche Scharlatane. Das soll nicht heißen, dass es nicht auch die unehrliche Sorte in unseren Kreisen gibt. Aber wie ihr sehen könnt, gehört es zum üblichen Prozedere, auf die Limitationen und Schwächen der eigenen Arbeit hinzuweisen und Interessenkonflikte offen zu legen. Jeder Leser vom Fach wird sich dieses Paper ansehen und die offensichtlichen Mängel ohne große Suche entdecken können. So weit, so (beinahe) unproblematisch.
In der Wissenschaftscommunity hat eine solche Arbeit keine Chance und wird zerissen. Kritisch wird es dann, wenn es ein solcher Artikel in die Zeitung oder auf die Website des Nahrungsergänzungsmittelherstellers schafft. Der Laie, der die Informationen dort liest, kommt womöglich gar nicht erst an die Originalstudie heran. Oder seine Sprach- und/oder Methodenkenntnisse reichen nicht aus um das zu erkennen, was für einen Wissenschaftler in leuchtenden Neonbuchstaben dort geschrieben steht. Otto Normalleser ist darauf angewiesen, dass Wissenschaftsjournalisten ihren Job machen (und dass man sie den auch machen lässt) und auf die Mängel von Studien hinweisen. Wenn durch irgendwelche weitergereichten Pressemitteilungen bloß in einem Webartikel landet, dass Curcumin das Gedächtnis und Stimmung verbessert – dann wird der Superfood-Zirkus weiter angekurbelt, ohne dass es eine Rechtfertigung dafür gäbe.
Mein abschließender Rat? Erstens: Wissenschaftler sind oft überraschend ehrlich wenn es darum geht, verzapften Blödsinn zuzugeben. Und wenn sie es nicht sind, dann sind ihre Kollegen, die nicht von demselben Geldgeber bezahlt wurden, mehr als gewillt auf die Mängel hinzuweisen. Zweitens: Es ist wichtig, die relevanten Fragen zu stellen. Anstatt: „Verbessert Kurkuma mein Gedächtnis?“ könnte man doch überlegen: „Curry oder Hähnchen Tandoori heute Abend?“
Quellen und erwähnte Links in Reihenfolge des Erscheinens, Stand 13.03.2018, 17:40
[1] Small, G.W., Siddarth, P., Li, Z., Miller, K.J., Ercoli, L., Emerson, N.D., Martinez, J., Wong, K.-P., Liu, J., Merrill, D.A., Chen, S.T., Henning, S.M., Satyamurthy, N., Huang, Heber, D. & Barrio, J.R. (2018). Memory and Brain Amyloid and Tau Effects of a Bioavailable Form of Curcumin in Non-Demented Adults: A Double-Blind, Placebo-Controlled 18-Month Trial. The American Journal of Geriatric Psychiatry 26 (3), 266-277
[2] Kurkuma und Curcumin, Nutzen und Wirkung für Ihre Gesundheit
[3] Süddeutsche.de – Warum Entschlacken Unsinn ist – Mythos Entgiften – 30.01.2018 – 16:42
[4] The Neurocritic: FDA says no to marketing FDDNP for CTE – 26.04.2015
[5] Faul, F., Erdfelder, E., Lang, A.-G., Buchner, A. (2007). G*Power 3: A flexible statistical power analysis program for the social, behavioral and biomedical sciences. Behavior Research Methods, 39, 175-191.