Das Problem beim Richtigstellen von Fehlinformation: Das bloße Wiederholen von Schwachsinn setzt sich oft umso mehr in den Köpfen von Leuten fest. Aber wer nach „Impfungen verursachen Autismus – stimmt nicht!“ genau das Gegenteil glaubt, der ist halt eh zu dumm – oder?

TL;DR
– Der Truth Effect besagt: Eine Aussage, die wir wiederholt lesen oder hören, halten wir eher für wahr.
– Selbst dann, wenn wir wissen, dass die Aussage falsch ist, sie als falsch gekennzeichnet wurde oder wir die Quelle für unglaubwürdig halten.
– Das hat nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun – seid also lieb zueinander!
– Beim Faktencheck besser: Die Falschaussage nicht wiederholen, sondern nur die korrekte Aussage.

Alle blöd, außer mir

Es ist eine so verlockende Argumentation. Und sie fühlt sich so gut an. Und sie geht etwa so: Die Information steht da, frei für alle zu lesen. Trotzdem raffen einige Leute es partout nicht. Tja. Für simples Textverständnis braucht man halt mindestens den IQ von Kartoffelsalat. Wer also nach dem Artikel, der den neusten Bullshit rund um Impfungen debunked, immer noch irgendwelchen Quark glaubt, der ist halt schlichtweg zu blöde. Zum Glück bin ich dem Kartoffelsalat kognitiv überlegen und bin in der Lage, einfache Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten.

Das ist aus mehreren Gründen eine problematische Annahme. Erstens überzeugt man Menschen recht selten, dass sie falsch liegen, wenn man sie beleidigt. Wie soll das aussehen?

  • „Mein Gott. Du bist auch echt so smart wie drei Meter Feldweg, ne? Steht doch da, dass Impfungen keinen Autismus verursachen!“
  • „Ach ja, stimmt, du hast Recht! Ich war einfach nicht klug genug, um das zu raffen!“

Realistisch.

Aber hey, vielleicht will ich ja gar nicht überzeugen, sondern tatsächlich nur beleidigen. Nicht mein Bier. Die Annahme, dass andere einfach zu blöd (oder zu stur) sind, um Richtigstellungen zu verstehen, birgt aber noch weitere Gefahren: Wenn man nämlich glaubt, dass man aufgrund der eigenen Cleverness erhaben über Fehlannahmen ist. Stellt euch nun dramatische Musik vor: Es kann uns alle treffen.

Der Truth Effect

Der Truth Effect (oder Wahrheitsillusion) ist eine merkwürdige Sache. Je häufiger man etwas wiederholt, desto eher neigen wir dazu, es als wahr zu erinnern. Das klingt jetzt erst mal ganz vernünftig, denn so funktioniert Lernen schließlich: über stetige Wiederholung. An einer Aussage, über die wir häufiger stolpern, wird vermutlich was dran sein. Das ergibt Sinn, wenn man bewusst darüber nachdenkt, funktioniert aber eher unbewusst über empfundene Vertrautheit, wenn wir etwas lesen, das wir schon mal gehört haben. Unser Denkapparat ist extrem gut darin, Bekanntes Wiederzuerkennen und das ist super, um effizient Informationen einordnen zu können und entsprechend zu handeln. Problematisch wird es dann, wenn wir – versehentlich – falsche Informationen abspeichern.

Diese Metaanalyse von Dechêne und Kollegen sammelt die Befunde zum Truth Effect. Es ist noch gut nachvollziehbar, dass wir Aussagen nach Wiederholung dann für wahr(er) halten, wenn wir nicht wissen, ob sie stimmen oder nicht. Beispiel von Dechêne et al.: „Der Reißverschluss wurde in Norwegen erfunden“*. Ist das so? Keine Ahnung. Ich bin unsicher, aber wenn ich es öfter lese, glaube ich eher, dass es stimmt. Der Knackpunkt aber ist, dass der Truth Effect auch dann auftritt, wenn die Aussage danach explizit als falsch entlarvt wird. Das heißt, „Der Reißverschluss wurde in Norwegen erfunden – FALSCH!“ werde ich nach einiger Wiederholung trotzdem für wahr halten, obwohl man mir explizit gesagt hat, dass es nicht stimmt. Und selbst dann, wenn ich die Quelle, von der die Aussage stammt, für unglaubwürdig halte. Der Truth Effect ist ein verdammt hartnäckige kleines Biest. Fazio und Kollegen finden beispielsweise, dass er auch dann auftritt, wenn Aussagen wiederholt werden, von denen wir von vornherein wissen, dass sie nicht stimmen.

Entsprechend hat man den Truth Effect auch im Kontext von Fake News untersucht. Pennycook und Kollegen präsentieren Leuten in ihrer Studie Fehlinformationen auf Websites und finden: Erhöhte Glaubwürdigkeit durch Wiederholung stellt sich auch dann ein, wenn die Website unglaubwürdig wirkt, wenn sie von Faktcheckern explizit als Quatsch markiert wird und selbst dann, wenn die Fehlinformation dem widerspricht, was Probanden eigentlich glauben.

Seid lieb zueinander

Man kann also der intelligenteste Mensch der Welt sein; trotzdem bewertet man Aussagen, die man häufiger gelesen hat, eher als wahr. „Ich bin ja intelligent – mir kann das nicht passieren!“ ist also – Achtung – falsch. Jetzt bitte bloß richtig abspeichern und erinnern!

Kann man denn da gar nichts tun? Glauben wir hilflos alles, was wir mehrfach lesen? Es kommt fast schon Gehirnwäsche gleich. Wenn selbst Warnungen nicht helfen – was dann? Naja, die offensichtliche, wenn auch etwas umständliche Lösung ist: Beim Faktencheck sollte man vermeiden, die Falschaussage zu wiederholen. Lieber nur die korrekte Information verbreiten – und sich dann ausnahmsweise mal den Truth Effect zunutze machen und die richtige Information wiederholen.

Auch das Wissen um den Effekt an sich kann es schon besser machen. Nämlich dann, wenn man ab und zu bewusst innehält und sich bei einigen Aussagen, wie man für wahr hält überlegt, ob man eigentlich Belege dafür hat – oder ob man sich bloß „sicher“ ist, das irgendwo mal gehört zu haben. Das wird aber nicht immer und überall klappen – wir haben ja gesehen, wie robust der Truth Effect gegen Warnungen ist. Selbstverständlich ist es auch völlig überzogen, den Zirkus bei jedem Fitzelchen Wissen zu veranstalten, dass man in seinem Kopf gespeichert hat. Ich kann nicht jedes Mal nachgooglen, wo der Reißverschluss wirklich erfunden wurde – und mich auch nicht Tag und Nacht hinterfragen, wenn ich bei geistiger Gesundheit bleiben will. Ein bisschen Unschärfe ist schon okay. Ein bisschen Quatsch erzählen auch. Aber es ist ganz gut, sich zwischendurch mal in Erinnerung zu rufen, dass man auch nach bestem Wissen und Gewissen nicht immer Recht hat. Am Wichtigsten ist aber: Wenn man selbst gerade richtig liegt und der andere nicht, dann liegt das nicht daran, dass er dumm ist. Also, vielleicht schon. Aber das spielt hier keine Rolle.

Denn: Selbst wenn nur dumme Menschen falsche Dinge glauben würden, bloß weil sie wiederholt wurden – wem würde denn ein Zacken aus der Krone brechen, die Fehlinfo bei der Aufarbeitung nicht zu wiederholen? Dann hätte man „dumme“ wie „schlaue“ Leute gleichermaßen erreicht – und wir wären alle wiederum ein klein wenig klüger.


*Ihr ahnt es schon: Der Reißverschluss wurde in Amerika erfunden. Involviert waren auch Schweden und Schweizer.


Quellen und Links in erwähnter Reihenfolge, Stand 27.04.2019

[1] Dechêne, A., Stahl, C., Hansen, J. & Wänke, M. (2010). The Truth About the Truth: A Meta-Analytic Review of the Truth Effect. Pers Soc Psychol Rev 14, 238.
[2] Fazio, L.K., Brashier, N.M., Payne, B.K. & Elizabeth J. Marsh, E.J. (2015). Knowledge Does Not Protect Against Illusory Truth. Journal of Experimental Psychology 144 (5), 993–1002.
[3] Pennycook, G., Cannon, T. & Rand, D.G. (2018). Prior Exposure Increases Perceived Accuracy of Fake News. Journal of Experimental Psychology: General, 147 (12), 1865-1880.
[4] Wikipedia – Reißverschluss – letzte Aktualisierung 20.04.2019