Schon mal gesehen? Dieser Strich quer durch den Barcode, den man bei manchen Herstellern findet (vornehmlich Bio- und Naturprodukte)? Wozu ist der gut? Produktionstechnische Gründe? Nein – der unscheinbare Strich gehört tief in die Ecke der Aluhüte, denn gemäß einer Verschwörungstheorie senden Barcodes schädliche Strahlung aus. Das ist natürlich Quatsch und weder mit Logik noch mit Daten auch nur annähernd zu begründen. Die Hersteller wissen das – drucken aber trotzdem den Strich drauf, der den Barcode „ungefährlich“ machen soll. Der Aufwand ist quasi nicht existent, aber man fängt damit ein paar zusätzliche Kunden.
Ich habe einen Hersteller angeschrieben und nachgefragt – und daraus entwickelte sich eine erfreuliche Korrespondenz. Lest selbst!

Wahnsinn in Flaschen

Es ist warm. Ich brauche noch was zu trinken, um das Seminar zu überleben. Im Getränkemarkt stolpere ich über ein Getränk, das ich noch nicht kenne: Gurkenlimonade von Cucumis. Es ist eine Weile her, dass ich Gurkenlimo getrunken habe, aber es klingt verdammt erfrischend, also nehme ich die Flasche mit, ohne genauer hinzusehen. Im Seminar befasse ich mich aus Neugier mit der Zutatenliste und entdecke dabei – Schockschwerenot! – einen entstörten Barcode. Neeeeeeein! Ich habe versehentlich die Aluhüte finanziert. Die Verschwörungstheorie hinter dem unscheinbaren Strich ist so absurd, dass die wenigsten Menschen auch nur davon gehört haben. Wem es ähnlich geht, für den gibt es hier eine kurze Infobox – eine ausführlichere Beschreibung findet sich auf EtikettenWissen.de.

Warum der Strich durch den Barcode?
Ein Barcode sieht nicht nur aus wie eine Ansammlung von ein paar Tintenstrichen. Er ist auch nicht mehr als das. Gedruckte Buchstaben bilden für unsere Augen Muster, die wir lesen können und ein Barcode bildet ein Muster, das ein Scanner lesen kann. Das bedeutet nicht, dass der Barcode selbst Informationen sendet – genau wie Buchstaben nicht von alleine ihre Bedeutung offenbaren, solange man nicht lesen kann und die Sprache beherrscht, in der die Wörter verfasst wurden.
Trotzdem hat sich bei einigen Menschen das Missverständnis festgesetzt, dass der Barcode irgendetwas aussendet. Und das soll schädlich für Menschen sein. Man kann es auch so formulieren: Ein paar Menschen haben sich den Mythos vom gefährlichen Barcode ausgedacht, um teure Stifte und Holzbretter zu verkaufen, die den Haufen Striche angeblich unschädlich machen. Zum selben Zweck drucken einige Hersteller Striche oder Symbole über den Barcode. Der Code selbst bleibt dadurch natürlich lesbar.
Folgende Punkte sind in dieser vielleicht löchrigsten aller Verschwörungstheorien ungelöst:
a) Was der Barcode genau aussenden soll oder wie man das messen kann – geschweige denn ein Nachweis.
b) Warum ein Tintenmuster überhaupt etwas senden können sollte.
c) Wieso ein Strich durch den Code (also noch mehr Tintenmuster) den Code unschädlich machen sollte.
d) Wie man das moralische Tief erreicht, Menschen für einen einfachen Marker über 10 € abzunehmen.

Schön. Aber wem schadet es denn?

Nun kann man natürlich einwenden, dass es niemandem schadet, den Strich zu drucken. Jein. Sicherlich beeinflusst mich der entstörte Barcode körperlich wie seelisch erst mal herzlich wenig. Die zusätzlich verwendete Tinte liegt pro Etikett vermutlich sogar im Bereich der normalen Schwankung der Farbabgabe des Druckers. Das Problem jedoch: Die Barcode-Verschwörungstheorie verbreitet sich. „Wenn immer mehr Hersteller diesen Strich drucken“, denkt sich Oma Hilde, „dann wird da schon was dran sein!“ Warum sollten die das auch sonst tun? Kein Hersteller betreibt mehr Aufwand ohne Nutzen. Genau hier liegt aber der Hund begraben: Menschen, die nichts von der Barcode-Verschwörungstheorie wissen, kaufen die Limo so oder so und bemerken den Strich nicht. Diejenigen aber, denen das mit dem Barcode wichtig ist, greifen durch den zusätzlichen Strich zu und freuen sich. Man gewinnt also mit wenig Aufwand mehr Kunden, ohne welche zu verlieren. Außer mich. Denn ich will die Aluhüte nicht unterstützen und tendiere dazu, die Gurkenlimo in die Wüste zu schicken. Aber erstens schmeckt der Kram gut und zweitens weiß ich, dass die Hersteller die Striche lediglich auf Kundenwunsch aufdrucken, nicht aus persönlicher Überzeugung. Also gebe ich den Jungs und Mädels noch eine Chance und hake per Mail nach. Hier der Mailverlauf – mit freundlicher Genehmigung 🙂


Rotwein an Gurkenlimo
Hallo liebes Cucumis-Team,

gerade halte ich eine Flasche eures Gurkenwassers in der Hand.
Erster Eindruck: Schmeckt super! Super für den anstehenden Sommer.
Bloß würde ich es dennoch nicht nochmal kaufen, denn wie ich erst nach dem Kauf entdeckt habe, verläuft durch den Barcode ein Strich. Der einzige Grund, wieso das meines Wissens getan wird, ist die „Entstörung“ des Barcodes, da der gemäß gewisser Verschwörungstheorien schädlich sein soll.
Weder sind allerdings die Wirkmechanismen plausibel noch gibt es irgendeinen anderen Grund anzunehmen, dass ein Barcode mehr ist als ein paar Striche, die Informationen kodieren.

Mir ist bewusst, dass viele Hersteller den Barcode wider besseren Wissens „entstören“, weil das Bisschen mehr Tinte die zusätzlichen Käufer absolut rechtfertigt. Besonders wenn man wie ihr – um es mal so platt auszudrücken – eine „fancy lifestyle Limo“ anbietet.
Ich habe ein Herz für Hipster. Und ich verstehe das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Aber ich unterstütze es nicht, wenn Hersteller eine Verschwörungstheorie anfeuern („Siehste, wenn die den Barcode entstören, dann muss da ja was dran.“).

Umgekehrt gibt es übrigens auch einige Kunden wie mich, die aus dem oben genannten Grund durchgestrichene Barcodes vermeiden. Das wäre also die andere Kundengruppe, die man dadurch verliert.

Vielleicht könnt ihr mich ja aufklären, welche Motivation da bei euch dahinter steckt. Womöglich gibt’s ja was abseits von Marketing, was ich nicht weiß.

Cheers
Juli

Gurkenlimo an Rotwein
Moin Moin aus Hamburg,

wir finden diese Theorie genauso absurd und lächerlich wie du! Unser Fokus war es gesunde und originelle Getränke mit einer gewissen Daseinsberechtigung zu etablieren! Um das möglichst erfolgreich zu machen wollten wir es möglichst jedem gerecht machen. Der Tip mit dem Strich kam von unserem Berliner Etikettendrucker und tatsächlich wird der gerne bei Alnatura & co. gesehen! Es kostet uns weder Geld noch Mühe den Strich anzubringen aber witziger Weise haben wir bis Dato mehr Tadel als Lob erhalten und werden uns von diesem Strich auch in Kürze trennen!

LG
Vasco Emmanuel Kulke
CEO & Founder
Cucumis GmbH
Langelohstr. 130c
22609 Hamburg
+49 (0)170 22133 91

Alles hat ein Ende, nur die Gurke hat zwei

Ich bin verzückt. Der Strich darf gehen. Ein bisschen missmutig stimmt es mich, dass im Business tatsächlich der professionelle Rat kursiert, den Quatsch auf die Flasche zu bringen. Aber es beruhigt mich, dass die negative Rückmeldung dazu seitens der Konsumenten durchaus vorhanden ist und vor allem darauf reagiert wird! Na dann. Weiß ich ja, was ich diesen Sommer trinken werde, um den möglichen Umsatzverlust durch die abgesprungenen Aluhut-Kunden zu refinanzieren.

Update 24.05.2019: Ich habe die Gurkenlimo noch mal besucht um zu sehen, ob der Strichcode noch da ist. Ist er. Ich bin nicht sauer. Nur enttäuscht. Keine Ahnung, wie lange man braucht, um die Etiketten umzustellen – vielleicht hat man auf Vorrat gedruckt und deswegen noch eine Menge entstörter Barcodes herumliegen. Ein Jahr erscheint mir allerdings recht lang. Hey, Cucumis. Wir müssen reden. So geht das nicht weiter mit uns.

Update 27.05.2019: Wir haben geredet. Tatsächlich sagte der Hersteller, dass Etiketten oft in sehr großen Mengen bestellt werden. Da ist der Strich dann noch drauf. Demnächst, so viel kann ich schon mal verraten, stünde aber generell eine größere Umstellung der Marke an – ich dürfe mich auf Limo ohne Strich freuen. Großartig! Ich bin nämlich ein heimlicher Fan von Hipsterlimo.


Quellen und erwähnte Links in Reihenfolge des Erscheinens, Stand 17.05.2018, 13:46 – letztes Update 27.05.2019

[1] Cucumis
[2] EtikettenWissen.de – Barcode entstören
[3] Entstör-Stift für Bar-Code – wuwei Shop